Projektbeschreibung

Re:member the future ist ein Projekt des ASA-FF e.V. zur Konzeptualisierung eines Gedenk- und Erinnerungsortes in Chemnitz an Betroffenen des rechten Terrors des NSU-Komplex. In Chemnitz gibt es bisher keinen Ort, der an die Opfer, Betroffenen und Überlebenden erinnert. Als Intervention gegen das Vergessen, für das Erinnern und Sichtbarmachen der Betroffenen, ihrer Namen, Geschichten und Widerstandskämpfe sowie als Verweis auf eine veränderbare, solidarische Zukunft fordert das Projekt re:member the future einen Gedenk- und Erinnerungsort in Chemnitz.

Der Erinnerungsort soll dabei kritische Auseinandersetzungsprozesse mit Ungleichwertigkeitsvorstellungen und rechter Gewalt in Chemnitz anregen und die nachhaltige Aufarbeitung des NSUKomplexes in der Stadt fördern. Grundlage für die Konzeptualisierung und Realisierung dieses Erinnerungsortes ist für uns ein transparenter und partizipativer Entstehungsprozess, der die Angehörigen und Betroffenen von Beginn an informiert, einbezieht und ihre Forderungen, Erzählungen und Expertisen in den Mittelpunkt stellt und zum Ausgangspunkt aller Realisierungsschritte macht. Im September wird ein Konzept veröffentlicht, dass einen Vorschlag für einen partizipativen Entstehungsprozess zu dem Erinnerungsort macht. Dieses soll als Grundlage für die Erarbeitung eines Antrags im Chemnitzer Stadtrat dienen.

Hintergrund

Bereits in den 1990er Jahren war Chemnitz Dreh- und Angelpunkt der sächsischen Neonaziszene. Diehier ansässige Blood and Honour-Bewegung Sachsen gehörte zu einer der stärksten neonazistischen Gruppierung in Deutschland. Die Schlüsselfiguren waren oder sind weiterhin weltweit vernetzt. Nicht zufällig suchte sich der selbsternannte Nationalsozialistische Untergrund (kurz NSU) auf der Flucht vor den Ermittlungsbehörden als erste Station im „Untergrund“ die Stadt Chemnitz aus. Chemnitz wurde die Operationsbasis für die Planung und Umsetzung einer deutschlandweiten Mord-, Raubund Sprengstoffserie.

Wie auf der Interaktiven Karte des Projekts „Offener Prozess“ (https://www.offener-prozess.net/critical-map) zu sehen ist, gibt es im gesamten Stadtgebiet Chemnitz Orte mit NSU-Bezug: Wohnorte, Orte, an denen die Mitglieder des NSU Raubüberfälle verübten. Hinzu kommen Orte der Waffenübergaben und der Anmietung von Tatfahrzeugen, aber auch Orte des alltäglichen Lebens in einem Umfeld, in dem die Rechtsterrorist*innen nicht auffielen und aktiv gedeckt wurden. Die Kontinuitäten rechter Gewalt in Chemnitz wurden zuletzt bei den Ausschreitungen im Sommer 2018, der Enttarnung der rechtsterroristischen Vereinigung „Revolution Chemnitz“ sowie der unaufgeklärten Anschlagsserie auf migrantische Restaurants in Chemnitz sichtbar.

Die Stimmen der Opfer und Angehörigen, ihre Namen und ihre Geschichten sind bislang in der Chemnitzer Stadtgesellschaft noch sehr unbekannt und unsichtbar. Das Lernen aus der Geschichte und die kontinuierlichen Aufarbeitungs- und kritischen Reflexionsprozesse neonazistischer und rassistischer Einstellungen brauchen zentrale Orte. Vor dem Hintergrund der Verantwortung der Stadt Chemnitz für die NSU-Aufarbeitung und das Erinnern an die Opfer sehen wir in dem Prozess der Konzeption eines Gedenkortes eine notwendige Intervention gegen das Vergessen und einen wichtigen Schritt für die Verstetigung des Erinnerns innerhalb der Chemnitzer Stadtgesellschaft.

Konzeptionsprozess

Mit der Konzeption möchten wir einen Ausblick auf einen Gestaltungsprozess hin zu einem Erinnerungsort geben, der unterschiedliche Perspektiven einbezieht, ein Lernen aus bisherigen Erfahrungen der Erinnerungsarbeit ermöglicht und einen Ausblick auf bildungspolitische Handlungsspielräume gibt. Für den Konzeptionsprozess wurden zunächst Interviews mit Betroffenen, Angehörigen und solidarischen Begleiter*innen geführt. Die Impulse und Ergebnisse aus den Interviews, die Empfehlungen und Analysen eines Beirats sowie Gespräche mit stadtpolitischen Akteur*innen werden in das Konzept einbezogen, welches schließlich Handlungsempfehlungen zu folgenden Fragen geben soll:

• Wie können und wollen Angehörige und Betroffene in den Prozess der Entwicklung eines Gedenkortes in Chemnitz eingebunden werden?
• Wie kann die Einbindung stadtpolitischer Akteur*innen gelingen, um die Nachhaltigkeit von Bildungsprozessen rund um den entstehenden Gedenkort zu gewährleisten?
• Welche Umsetzungsmöglichkeiten für einen interaktiven und digitalen Erinnerungsort gibt es?
• Wie kann im Auswahlverfahren eine zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglicht werden?
• Was braucht es, um einen Ideenwettbewerb auszurichten?
• Welches Budget muss für die Realisierung eines Gedenkortes eingeplant werden?

Wirkung/gesellschaftlicher Mehrwert

• Im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung verdeutlicht die Entstehung eines Erinnerungsortes, dass sich die Stadt Chemnitz mit zeitgeschichtlichen Ereignissen auseinandersetzt und Verantwortung für zivilgesellschaftliche Aufarbeitungsprozesse übernimmt.
• Erinnerungsorte können durch die Sichtbarmachung der Geschichten der Opfer und Sensibilisierung für die Perspektiven der Betroffenen die gesellschaftliche Beteiligung der von Diskriminierung betroffenen Gruppen stärken.
• Materialisierte Orte der Erinnerung bieten Anlaufpunkte für rassismuskritische und demokratische Bildungsarbeit und Wissensvermittlung. Sowohl im Rahmen von Bildungsfahrten als auch im Kontext von Stadtrundgängen können Stadtbewohner*innen und Besucher*innen an den Denkmälern Informationen über den NSU-Komplex bekommen und an die Opfer gedenken.
• Orte des Gedenkens können immer wieder konstruktive demokratische Diskurse in der Zivilgesellschaft anstoßen, die das Gedenken an die Opfer lebendig halten und eine solidarische Haltung im Umgang mit diskriminierenden Verhaltensweisen fördern.