Am 8. März 2019 verstarb der Mitbegründer der Chemnitzer Hooligan-Gruppierung „HooNaRa“ („Hooligans – Nazis – Rassisten“) Thomas Haller. Am darauffolgenden Tag gedachte der Chemnitzer FC, Fans wie Verein, der rechten Szenegröße im Rahmen eines Regionalligaspiels mit einer aufwendigen Choreografie – und mit verstörenden Selbstverständlichkeit.
Thomas Haller ist im Umfeld des Chemnitzer Fussballclubs gut verankert gewesen. 2007 bekannte er sich in einem Interview gegenüber dem Fussballmagazin „Rund“ zur Gründung von „HooNaRa“. Die Gruppierung gehörte seit Anfang der 1990er zur Hooliganszene in Sachsen und verfolgte auch außerhalb des Stadions klare politische Ambitionen: Die Durchsetzung einer völkisch-nationalistischen Hegemonie. Ein Sozialarbeiter aus dem Chemnitzer Jugendclub „Piccolo“ beschrieb „HooNaRa“ in einer Vernehmung vor dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss als „Reinigungsgruppe“ , die gezielt Jagd auf diejenigen macht, die nicht in ihr Weltbild passen. Vorne als Organisator mit dabei: Thomas Haller. Im Piccolo, einem Jugendclub geführt nach dem Konzept akzeptierender Jugendarbeit, konnte er offenbar ungehindert rekrutieren. Mit seiner Sicherheitsfirma „Haller-Security“ verschaffte er sich und seinen Schläger-Kompagnons darüber hinaus ein finanzielles Standbein.
Was „Reinigungsgruppe“ im schlimmsten Fall bedeutete, macht der Tod von Patrick Thürmer in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1999 deutlich [Link]. Der 17-Jährige wird auf dem Heimweg von einem Punkfestival in Hohenstein-Ernstthal von drei Männern überfallen. Unter anderem mit einem Axtstiel fügen sie dem Malerlehrling tödliche Kopfverletzungen zu. Mindestens einer der drei Täter war Mitglied von „HooNaRa “ . Am Vorabend hatten zunächst drei Dutzend Naziskins das Punkfestival angegriffen, dann folgte ein Gegenangriff von Punks auf die benachbarte Diskothek „La Belle“, wo die rechten Schläger hergekommen sein sollen. Betreut wurde die Diskothek (auch in den folgenden Jahren noch) von Hallers Securityfirma. Diese beorderte u.a. die Verstärkung aus Zwickau herbei, die sich dann auf die Jagd nach Punks gemacht hat und die Patrick Thürmer zum Verhängnis wurde. Laut Zeugenaussagen soll Thomas Haller an diesem Tag ebenfalls in Hohenstein-Ernstthal und an der Jagd auf Punks gemeinsam mit anderen Türstehern beteiligt gewesen sein.
Das Chemnitzer Umfeld, in dem Haller mit seiner Hooligangruppe und seiner Sicherheitsfirma aktiv war, ist dasselbe, in dem der NSU gedeihen konnte. Der Journalist und Autor Dirk Laabs fasste das im Buch „Unter Sachsen“ treffend zusammen:
„Sachsen war für den ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ zugleich Geburtsort, Lebensraum und Tatort. In Sachsen raubten die Kernmitglieder der Terrorgruppe Banken und Postämter aus, von Zwickau aus planten sie ihre Morde und arbeiteten an dem NSU-Propagandafilm. Und in Sachsen konnten sie auf ein großes Reservoir von Unterstützern und Unterstützerinnen zurückgreifen. Vor allem aber fand das sogenannte Kerntrio des NSU – Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt – in Sachsen ein entscheidendes Element: den ideologischen Unterbau für ihre Taten.“
Das spiegelt sich auch in den Verknüpfungen zwischen „HooNaRa“, Blood&Honour und dem NSU wieder:
- Mindestens zwei „HooNaRa“-Mitglieder werden dem NSU-Umfeld zugerechnet. Die zwei Mitglieder der Rechtsrockband „Blitzkrieg“ gehörten zu dem Freundes- und Bekanntenkreis, der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Unterschlupf in Chemnitz gewährte.
- Verknüpfungen gab es auch zur Zwickauer Szenegröße Ralf Marschner, der zugleich von 1992 bis 2002 V-Person des Bundesamts für Verfassungsschutz gewesen ist. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hat festgestellt (auf S. 1112), dass Marschner in seiner Baufirma zahlreiche „HooNaRa“-Mitglieder beschäftigt hat. Laut einer Zeugenaussage besteht der Verdacht das Marschner mindestens Uwe Böhnhardt ebenfalls dort beschäftigt hat. Im Telefonspeicher von Marschner soll auch Thomas Haller aufgetaucht sein.
- Thomas Haller stand im Adressbuch von Thomas S., der für das sogenannte Kerntrio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe Sprengstoff organisiert hat.
Viele der damals involvierten Personen scheinen auch heute noch zu ihrer Überzeugung zu stehen. Aussagen vor Gericht im Rahmen des NSU-Prozesses vor dem OLG München blieben im Ungefähren oder waren offenkundig gelogen. Vor Gericht spielte auch HooNaRa eine Rolle. Nebenklageanwalt Carsten Ilius schätzt jedoch ein, dass die Verbindungslinien kaum ausgeleuchtet worden sind. Die Kontinuitäten scheinen bis heute ungebrochen. Sie in den Blick zu nehmen wäre ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, was in Chemnitz heute passiert.