Die Arbeit „Konzeptualisierung eines Gedenk- und Erinnerungsortes an die Betroffenen des NSU-Komplexes in Chemnitz“ wurde im Projekt re:member the future des ASA-FF e.V. unter der Leitung von Arlo Jung und Hannah Zimmermann entwickelt.
Um eine Zusammenfassung zu lesen, die die wichtigsten Fragen und Eckpunkte des Konzeptes enthällt, bitte nach unten scrollen.
Die Bilder, die einen möglichen Gedenkort darstellen, wurden von lilazwei GmbH erstellt.
Was ist re:member the future?
In dem Projekt Re:member the future des ASA-FF e.V. wird ein Konzept für einen Gedenkort in Chemnitz entwickelt, der an die Betroffenen des rechten Terrors des NSU-Komplexes erinnert. Das Ziel des Projekts ist es, die Geschichten der Opfer und Betroffenen des NSU auch in Chemnitz zu erzählen, sie zu verankern, an sie zu erinnern und für die Zukunft zu mahnen. Das Konzept analysiert verschiedene Möglichkeiten zur Umsetzung, um einen Prozess zur Errichtung eines Gedenkorts in der Stadt Chemnitz anzustoßen.
Warum braucht es einen Erinnerungs- und Gedenkort in Chemnitz?
Chemnitz spielt eine zentrale Rolle im NSU-Komplex als Ort für Planung und Durchführung der Morde und Anschläge, als Ort der Radikalisierung und Netzwerkbildung rechtsextremer (Unterstützungs-)Gruppen und als Ort, an dem acht Raubüberfälle durchgeführt wurden, die dem NSU finanzielle Unterstützung verschafften. Die Kontinuitäten rechtsextremer Gewalt in Chemnitz wurden zuletzt bei den Ausschreitungen im Sommer 2018, der Enttarnung der rechtsterroristischen Organisation Revolution Chemnitz und der unaufgeklärten Anschlagsserie auf jüdische und migrantische Restaurants in Chemnitz massiv sichtbar. Auch aufgrund der Kontinuitäten rechter Strukturen und rassistischer Gewalttaten bedarf es einer sichtbaren Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex in Chemnitz, welche die Ereignisse als Teil der Stadtgeschichte annimmt. Durch einen in der Stadt fest verankerten Erinnerungsort kann die Erinnerung an die menschenverachtenden Taten aufrechterhalten und verstetigt werden. Er zeugt dabei von einem proaktiven Umgang der Stadt mit der Geschichte und ihren Kontinuitäten und kann zur Formung und Stärkung einer engagierten Zivilgesellschaft beitragen.
Wie wurde das Konzept erarbeitet?
Die Grundlage des Konzeptes stellen Expert*inneninterviews mit Mandy Boulgarides, Gamze Kubaşık, Mitat Özdemir, Abdulla Özkan, Semiya Şimşek, Ayşen Taşköprü sowie Gavriil Voulgaridis dar. Ergänzend dazu wurde der Konzeptionalisierungsprozess begleitet von Gesprächen mit erinnerungspolitischen Initiativen, stadtpolitischen Vertreter*innen und zivilgesellschaftlichen Aktuer*innen und die Inhalte durch Literaturrecherchen erweitert.
Welche Inhalte soll der Erinnerungs- und Gedenkort aufgreifen?
- Gedenken: Ein Ort des Gedenkens an die Opfer des NSU Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter und Attila Özer. Ein Ort der Erinnerung und Sichtbarkeit für die Kämpfe der Opfer, Betroffenen und Angehörigen sowie der Überlebenden der Bombenanschläge und Betroffenen der Raubüberfälle.
- Aufklärung: Wissensvermittlung über die Taten, ihre Hintergründe und komplexen Ermöglichungsbedingungen.
- Veränderung: Anstoß kritischer gesellschaftlicher Reflexionsprozesse sowie die Sichtbarmachung der Widerstandskämpfe und Forderungen nach umfänglicher Aufklärung von Betroffenen.
Welche Bereiche sollte der Erinnerungs- und Gedenkort umfassen?
Das Konzept des Erinnerungsortes schlägt drei Umsetzungsebenen vor: den materialisierten Ort (A), der als künstlerisch ästhetischer Ausdruck ein Zeichen im städtischen Raum setzt. Dieser soll ergänzt werden durch einen digitalen Raum (B), der den materialisierten Ort durch eine virtuelle Realität erweitert.
Um die inhaltliche Auseinandersetzung zu verstetigen, soll es als dritte Ebene analoge und digitale Bildungs- und Vermittlungsangebote (C) geben.
Welche gesellschaftliche Wirkung kann ein interaktiver Lern- und Gedenkort haben?
Gedenk- und Erinnerungsorte haben eine wichtige politische Bedeutung. Durch ihn können die Opfer und Betroffenen Sichtbar und Anerkennbar werden. Im Gedenken und Trauern werden Empathieräume erzeugt und das Lernen aus der Geschichte verstetigt. Der Erinnerungs- und Gedenkort in Chemnitz soll damit zur Auseinandersetzung einladen sowie Ausgangspunkt kontinuierlicher Aufarbeitungs- und kritischer Reflexionsprozesse der Ursachen und Kontinuitäten rechter Gewalt sein. Durch rassismuskritische und menschenrechtsorientiert Bildungsarbeit kann das Gefährdungspotenzial rechtsextremer und antipluralistischer Einstellungen aufgezeigt und das kritische Denken und politische Teilhabe gefördert werden. Ein physischer Ort kann Begegnungen, Austausch und Vernetzung ermöglichen und zum Verweilen einladen. Der Erinnerungsort kann damit auch ein Ort sein, der eine solidarische und emanzipatorische Zukunft aufzeigt und neue Perspektiven eröffnet.
Wie kann der Entstehungsprozess transparent und partizipativ gestaltet werden?
Eine partizipative Gedenkpraxis zu entwickeln bedeutet Betroffene, Überlebende und Angehörige als Gestaltende des Gedenkens zu betrachten und sie als Expert*innen in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Wenn ihre Expertisen, Erfahrungen und Geschichten den Ausgangspunkt des Erinnerungsortes markieren sollen, ist es notwendig, den Prozess an ihren Wünschen und Bedürfnissen auszurichten. Das erfordert Teilhabemöglichkeit und Entscheidungsgewalt für die Betroffenen während des Auswahlverfahrens und im künstlerischen Entstehungsprozess. Um langfristige und nachhaltige Bildungs- und kritische Auseinandersetzungsprozesse zu sichern, sollte auch die Chemnitzer Stadtgesellschaft in das Wettbewerbsverfahren eingebunden werden. Die partizipative Entstehung und Gestaltung des Erinnerungsortes erfordert daher die Bereitschaft für eine dialogische und stufenhafte Prozessgestaltung zwischen Stadtverwaltung, Angehörigen, Überlebenden, Künstler*innen und der Stadtgesellschaft.
Welches Wettbewerbsverfahren empfiehlt sich für die Entscheidung zu einem Erinnerungsort in Chemnitz?
Ein zweistufiges Wettbewerbsverfahren, bei dem auch Team-Bewerbungen zulässig sind. Dem nicht-offenen Realisierungswettbewerb kann ein offener Ideenwettbewerb vorgeschaltet werden. Dadurch können unterschiedliche und auch noch unbekannte Personen zu einer Teilnahme ermutigt werden. Unter den im ersten Schritt ausgewählten Wettbewerbsteilnehmenden wird dann in einem zweiten, nicht-offenen Wettbewerbsverfahren ein Sieger*innenentwurf von der Jury/ dem Preisgericht ausgewählt. Innerhalb dieses zweiten Verfahrens lassen sich unterschiedliche Beteiligungsformate umsetzen.
Wie könnte eine Jury und ein Expert*innengremium zusammengesetzt werden?
Wie sind die Bedingungen für einen Standort?
Folgende Kriterien wurden für die Standortwahl entwickelt:
- Zentralität des Ortes
- Gute Infrastrukturelle Anbindung und Erreichbarkeit
- Platz zum Aufhalten
- Schutz und Pflege
Was wird es kosten?
Für die Honorar- und Sachkosten für den künstlerischen Wettbewerb und die Umsetzung des materialisierten Gedenkorts braucht es ein geschätztes Finanzvolumen von 200.000€. Darüber hinaus bedarf es Honorar- und Sachkosten für die Begleitung und Gestaltung des Wettbewerbsverfahrens. Diese wurden auf 36.000€ geschätzt. Die fortlaufenden Kosten für den Schutz und die Pflege des Erinnerungsortes belaufen sich auf ca. 2000€ jährlich.
Wie könnte es weitergehen?
Oktober-Dezember 2023
Entscheidungsprozess
- Entscheidung über die Ausschreibung eines Gedenk- und Erinnerungsortes durch den Stadtrat Chemnitz
- Finanzierungsoptionen ausloten
Januar-Mai 2024
Vorbereitung der Ausschreibung
- Informieren aller Betroffenen, Opfer und Angehörigen über das Vorhaben
- Zusammensetzung der Jury/ des Preisgerichts
- Zusammenstellung eines Expert*innengremiums
- Formulierung der Ausschreibungsinhalte auf der Grundlage des Konzeptes
Mai-Oktober 2024
Ausschreibung des künstlerischen Wettbewerbs
- Ausschreibung eines offenen Ideenwettbewerbs
- Auswahl der Teilnehmenden für den nicht-offenen Realisierungswettbewerb
- Gestaltung partizipativer Formate im Gestaltungs- und Entscheidungsprozess
- Standortauswahl
Oktober-November 2024
Entscheidung über einen Sieger*innenentwurf
- Öffentliche Ausstellung der finalen Entwürfe
- Entscheidung durch die Jury über den Gewinner*innenentwurf
Januar-März 2025: Planung des Bauprozesses
März-August 2025: Bau des Gedenk- und Erinnerungsortes
September 2025: Einweihung des Gedenk- und Erinnerungsortes