Digitaler Erinnerungsort

Eine Antwort.
Eine Intervention gegen das Vergessen.
Ein Ort des Gedenkens, des Erinnerns,
der Sichtbarkeit.
Ein Mahnen an Kontinuitäten aus der Vergangenheit.
Ein Gedenken in der Gegenwart –
in Referenz an eine andere Zukunft
Die App
re:member the future ist eine interaktive Intervention im öffentlichen Raum der Stadt Chemnitz, weil es bisher keinen offiziellen Erinnerungsort der Stadt an die durch den NSU Ermordeten gibt.
Sie dient dem Gedenken an die Ermordeten, Verletzten und Überlebenden des NSU-Terrors.
Sie ist eine notwendige Arbeit gegen das bereits auftretende Vergessen und erinnert dabei an die ausgelöschten Leben, aber auch an die Widerständigkeit und Forderungen der Überlebenden an eine rassistische Gesellschaft.
Wenn du vor Ort beim Doku-Zentrum bist:
Starte die App, wähle eine Sprache aus und positioniere dich vor dem QR-Code auf der Glasfassade des Doku-Zentrums.
Nach den Warnhinweisen bittet dich die App, den QR-Code zu scannen - richte dafür die Kamera deines Geräts auf den QR-Code. Dann sollte es auch schon losgehen.

Über das Projekt
re:member the future widmet sich dem Gedenken an die Opfer und Betroffenen des rechten Terrors des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) und der vielschichtigen Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Chemnitz.
Ziel des Projekts ist es, die Perspektiven der Betroffenen dauerhaft sichtbar zu machen, Räume der Erinnerung zu schaffen und ein Zeichen für eine solidarische, gerechte Zukunft zu setzen.
Das Projekt versteht Erinnern und Gedenken dabei als politische Haltung und Praxis. Sie adressieren bestehende Machtverhältnisse, eröffnen Handlungsspielräume und können vielfältige Ausdrucksformen annehmen.
Es geht nicht allein um Rückschau, sondern um eine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen, die rechten Terror ermöglicht und getragen haben.
Dem Gedenken wohnt ein Veränderungswille inne – ein Aufbegehren gegen das Bestehende.






Ausgangspunkt des Projekts war die Entwicklung eines Konzepts für einen Gedenkort in Chemnitz. Dieses analysiert Möglichkeiten des betroffenenorientierten Gedenkens und formuliert konkrete Handlungsmöglichkeiten, um einen kollektiven Prozess der Auseinandersetzung und des Gedenkens in der Stadt anzustoßen.
In Kooperation mit Causa Creations wurde auf dieser Grundlage ein digitaler Erinnerungsort entwickelt.
Ergänzt wird dieser Ort durch Formate der politischen Bildung, künstlerische Interventionen und öffentliche Veranstaltungen. So entsteht ein vielschichtiger Erinnerungsraum, der zur aktiven Beteiligung einlädt und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung fördert.
Konzept für einen Gedenk- und Erinnerungsort in Chemnitz
Die konzeptionelle Grundlage des Projekts re:member the future wurde unter der Leitung von Arlo Jung und Hannah Zimmermann erarbeitet. Die Publikation trägt den Titel: „Konzeptualisierung eines Gedenk- und Erinnerungsortes an die Betroffenen des NSU-Komplexes in Chemnitz“.
Gekürzte Fassung, veröffentlicht in: transcript – NSU-Komplex. Das Wissen der Betroffenen (PDF)
Das vollständige Konzept finden Sie hier.
Die Visualisierungen eines möglichen Erinnerungsortes wurden von der lilazwei GmbH erstellt.
Die inhaltliche Grundlage des Konzepts basiert auf ExpertInneninterviews mit Angehörigen, Überlebenden und solidarischen BegleiterInnen, darunter: Mandy Boulgarides, Gamze Kubaşık, Mitat Özdemir, Abdulla Özkan, Semiya Şimşek, Ayşen Taşköprü, Gavriil Voulgaridis.


Ergänzend wurden Gespräche mit erinnerungspolitischen Initiativen, stadtpolitischen Vertreterinnen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen geführt sowie umfangreiche Literatur- und Quellenrecherchen durchgeführt. Die Interviews wurden geführt von Ali Şirin, Zeran Osman und Arlo Jung.
Die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem Konzept im Überblick:
Warum braucht es einen Erinnerungsort in Chemnitz?
Chemnitz spielt eine zentrale Rolle im NSU-Komplex als Ort für Planung und Durchführung der Morde und Anschläge, als Ort der Radikalisierung und Netzwerkbildung rechtsextremer (Unterstützungs-)Gruppen und als Ort, an dem acht Raubüberfälle durchgeführt wurden, die dem NSU finanzielle Unterstützung verschafften.
Die Kontinuitäten rechtsextremer Gewalt in Chemnitz wurden zuletzt bei den Ausschreitungen im Sommer 2018, der Enttarnung der rechtsterroristischen Organisation Revolution Chemnitz und der unaufgeklärten Anschlagsserie auf jüdische und migrantische Restaurants in Chemnitz massiv sichtbar. Auch aufgrund der Kontinuitäten rechter Strukturen und rassistischer Gewalttaten bedarf es einer sichtbaren Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex in Chemnitz, welche die Ereignisse als Teil der Stadtgeschichte annimmt.
Durch einen in der Stadt fest verankerten Erinnerungsort kann die Erinnerung an die menschenverachtenden Taten aufrechterhalten und verstetigt werden. Er zeugt dabei von einem proaktiven Umgang der Stadt mit der Geschichte und ihren Kontinuitäten und kann zur Formung und Stärkung einer engagierten Zivilgesellschaft beitragen.
Welche Inhalte soll der Erinnerungsort aufgreifen?
Aus den Gesprächen und Analysen lassen sich drei zentrale inhaltliche Ebenen ableiten, die das Konzept prägen:
1. Gedenken, Trauern und Empathie
Das Gedenken richtet sich an die vom NSU ermordeten Menschen:
- Enver Şimşek
- Abdurrahim Özüdoğru
- Süleyman Taşköprü
- Habil Kılıç
- Mehmet Turgut
- İsmail Yaşar
- Theodoros Boulgarides
- Mehmet Kubaşık
- Halit Yozgat
- Michèle Kiesewetter
Ebenso soll den Überlebenden der Anschläge, den Betroffenen der Raubüberfälle und ihren Kämpfen Raum gegeben werden.
Dabei wird betont, dass es sich bei den Betroffenen nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern um Individuen mit unterschiedlichen Perspektiven, Erfahrungen und Erzählweisen.
Das Konzept lehnt vereinheitlichende oder stigmatisierende Opfernarrative ab und entwickelt stattdessen Formen, die Komplexität, Heterogenität und Würde sichtbar machen.
2. Strukturen benennen, Komplexitäten verhandeln, Kontinuitäten aufgreifen
Die Erinnerungen und Erzählungen der Betroffenen verweisen auf strukturelle Bedingungen des NSU-Komplexes:
- Rassistisch motivierte Taten
- Rassistische Ermittlungen durch Sicherheitsbehörden
- Stigmatisierende mediale Berichterstattung
- Mangelnde gesellschaftliche Solidarität und Ignoranz
Das Gedenkformat soll diesen strukturellen Kontext sichtbar machen und damit der Dethematisierung innerhalb des öffentlichen Diskurses entgegenwirken. Es soll informieren, aufklären und gesellschaftliche sowie lokale Verantwortung benennen.
Das Erfahrungswissen der Betroffenen steht dabei im Zentrum.
3. Widerstand, Veränderung und Solidarität
Das Wissen um den NSU-Komplex ist das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe der Betroffenen und ihrer Unterstützer*innen um Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen.
Viele von ihnen haben früh auf den rassistischen Hintergrund der Taten hingewiesen, wurden aber lange ignoriert.
Das Gedenkformat soll ihre Widerstandskraft, ihr Einfordern, ihr Sichtbar-Machen und Raumnehmen würdigen und in den Mittelpunkt stellen.
Erinnerung soll nicht nur rückblickend sein, sondern Handlungsimpulse für die Gegenwart und Zukunft geben: für ein solidarisches Miteinander, für ein wachsendes Bewusstsein und für konkrete gesellschaftliche Veränderungen.
Welche Bereiche sollte der Erinnerungsort umfassen?
Das Konzept des Erinnerungsortes schlägt drei Umsetzungsebenen vor: den materialisierten Ort (A), der als künstlerisch ästhetischer Ausdruck ein Zeichen im städtischen Raum setzt. Dieser soll ergänzt werden durch einen digitalen Raum (B), der den materialisierten Ort durch eine virtuelle Realität erweitert.
Um die inhaltliche Auseinandersetzung zu verstetigen, soll es als dritte Ebene analoge und digitale Bildungs- und Vermittlungsangebote (C) geben.
Welche gesellschaftliche Wirkung kann ein interaktiver Lern- und Gedenkort haben?
Gedenk- und Erinnerungsorte haben eine wichtige politische Bedeutung. Durch ihn können die Opfer und Betroffenen Sichtbar und Anerkennbar werden. Im Gedenken und Trauern werden Empathieräume erzeugt und das Lernen aus der Geschichte verstetigt. Der Erinnerungs- und Gedenkort in Chemnitz soll damit zur Auseinandersetzung einladen sowie Ausgangspunkt kontinuierlicher Aufarbeitungs- und kritischer Reflexionsprozesse der Ursachen und Kontinuitäten rechter Gewalt sein.
Durch rassismuskritische und menschenrechtsorientiert Bildungsarbeit kann das Gefährdungspotenzial rechtsextremer und antipluralistischer Einstellungen aufgezeigt und das kritische Denken und politische Teilhabe gefördert werden. Ein physischer Ort kann Begegnungen, Austausch und Vernetzung ermöglichen und zum Verweilen einladen. Der Erinnerungsort kann damit auch ein Ort sein, der eine solidarische und emanzipatorische Zukunft aufzeigt und neue Perspektiven eröffnet.
Wie kann der Entstehungsprozess transparent und partizipativ gestaltet werden?
Eine partizipative Gedenkpraxis zu entwickeln bedeutet Betroffene, Überlebende und Angehörige als Gestaltende des Gedenkens zu betrachten und sie als Expert*innen in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Wenn ihre Expertisen, Erfahrungen und Geschichten den Ausgangspunkt des Erinnerungsortes markieren sollen, ist es notwendig, den Prozess an ihren Wünschen und Bedürfnissen auszurichten.
Das erfordert Teilhabemöglichkeit und Entscheidungsgewalt für die Betroffenen während des Auswahlverfahrens und im künstlerischen Entstehungsprozess. Um langfristige und nachhaltige Bildungs- und kritische Auseinandersetzungsprozesse zu sichern, sollte auch die Chemnitzer Stadtgesellschaft in das Wettbewerbsverfahren eingebunden werden.
Die partizipative Entstehung und Gestaltung des Erinnerungsortes erfordert daher die Bereitschaft für eine dialogische und stufenhafte Prozessgestaltung zwischen Stadtverwaltung, Angehörigen, Überlebenden, Künstler*innen und der Stadtgesellschaft.
Wie sind die Bedingungen für einen Standort?
Folgende Kriterien wurden für die Standortwahl entwickelt:
- Schutz und Pflege
- Zentralität des Ortes
- Gute Infrastrukturelle Anbindung und Erreichbarkeit
- Platz zum Aufhalten